In der Monatszeitschrift AA-DACH der deutschsprachigen Anonymen Alkoholiker werden Erfahrungen der jeweiligen Verfasser/Innen mit dem AA-Programm (Schritte, Traditionen, Meetings-Begegnungen, Sponsorschaft etc.) veröffentlicht.
Sie stellen keine Stellungnahme der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker dar und können nicht auf AA als Ganzes bezogen werden.

Juli 2025

Monatsthema: Endlich gehöre ich dazu

Leseprobe:

Ich bin nichts Besonderes

Mein Name ist Rosi und ich bin nur eine Alkoholikerin, die heute trocken sein darf.

Alkoholsüchtig bin ich seit meinem 15. Lebensjahr. Der erste Schluck löste bei mir die Sucht aus, das weiß ich. In meiner Trockenheit und dank AA habe ich mich intensiv mit meiner Krankheit auseinandergesetzt. Nur wenn ich meine Krankheit kenne, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich bleibe Alkoholikerin, daran ändert sich nichts mehr, aber ich bin heute trocken, und das ist ein gravierender Unterschied zum Anfang meiner Krankheit.

Mein frühes, süchtiges Trinken hatte zur Folge, dass ich mich als erwachsene Frau nicht kannte. Wie auch!? Meine Entwicklung wurde durch den Alkohol gesteuert. Mir fehlten die natürlichen Erfahrungen, wie sie meine Kinder gemacht haben. Am Ende meiner nassen Zeit war ich 52 Jahre und dachte und fühlte wie eine junge, pubertierende Frau.

Ohne Alkohol bekam ich es zum ersten Mal so richtig mit mir zu tun. Was ich sah, entsetzte mich. Ich war voller Ängste und Hemmungen, traute mir nichts zu und traute auch keinem anderen Menschen. Nicht einmal meinem Mann oder meinen Kindern glaubte ich, wenn sie sagten, dass ich doch in Ordnung wäre. Hauptsache, ich würde die Finger vom Alkohol lassen. Das glaubte ich aber nicht, ich fühlte mich als Außenseiter in meiner Familie. So, wie ich mich immer als Außenseiter gefühlt hatte. Das war einer der Gründe gewesen, weswegen ich zum Alkohol gegriffen hatte. Ich wollte doch nur dazugehören. Daran hatte der Alkohol allerdings nur vordergründig etwas ändern können. Im Grunde hatte ich mir selbst damit etwas vorgemacht.

Jetzt war ich trocken und sah zum ersten Mal eine Frau, die ich nicht kannte – MICH.

Was ich sah, fand ich furchtbar. Eine Frau voller Schuldgefühle und Scham, die Angst vor Gott und den Menschen hatte und sich überall allein fühlte. Nur eines wusste ich definitiv: Ich wollte nicht mehr trinken. Auch nicht, um so zu sein wie alle anderen. Ich wollte trocken bleiben und mich so annehmen lernen, wie ich nun mal bin.

Mit der Zeit und durch die Hilfe der Meetings wurde es besser. Ich suchte mir eine Sponsorin, mit der ich die 12 Schritte besprechen und dann auch anwenden konnte, und begann langsam, mich zu ändern. Dafür brauchte ich oft viel Mut, und den bekam ich durch AA und besonders meine Sponsorin. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar.

Die Ängste wurden weniger, mein Bedürfnis, allen zu gefallen, verschwand zusehends. Ich konnte mich kennenlernen und mit mir Freundschaft schließen. Oft stellte ich mir vor, ich wäre meine Freundin und versuchte, mich auch freundschaftlich zu behandeln. Ich erkannte meine Fehler, aber ich musste mich nicht sofort und streng deswegen verurteilen. Ich lernte, Mensch unter Menschen zu sein. Mir begegnete bis heute kein Mensch, der perfekt ist. Das machte mir Mut, so zu sein, wie ich gerade jetzt, in diesem Moment, sein wollte und konnte.

In den Meetings habe ich gemerkt, dass es anderen auch so erging. Viele lernten sich erst kennen, als sie mit dem Trinken aufhören konnten. Und viele wollten anders sein. Das gibt mir ein Verbundenheitsgefühl, wie ich es nie vorher zu Menschen empfunden hatte. Auch mit meiner Familie fühle ich mich mehr und mehr wieder verbunden.

Ich muss nicht mehr als Einzelkämpferin durch die Welt gehen und perfekt sein.

Mir ist klar geworden, dass ich nie perfekt sein werde. Ich bin immer auf dem Weg, um zu lernen und zu wachsen. Und damit befinde ich mich in der illustren Gesellschaft mit allen Menschen.

Ich gehöre dazu! Und das Besondere daran ist, dass ich zu den Menschen gehören darf, die nicht trinken müssen. Dies jeden Tag aufs Neue zu leben und erleben, versöhnt mich mit meinen Unzulänglichkeiten. Was soll mir passieren, wenn ich trocken bleibe? Es besteht immer die Möglichkeit, dass ich mich verändere. Und auch damit bin ich nicht allein. Die Erfahrungen der Freundinnen und Freunde in AA geben mir ein warmes Gefühl der Zugehörigkeit. Das wirkt sich auch auf mein Familienleben aus, also bin ich auch da keine Außenseiterin mehr, sondern Teil einer liebevollen und vertrauensvollen Lebensgemeinschaft.

Von meiner Sponsorin habe ich ein Gebet gelernt:

„Thank you, god, for all you have given to me.
Thank you, god, for all the hell you have taken from me.
But most of all, thank you, dear god, for all you have left me.“

Entschuldigt bitte meine schlechte Übersetzung:

„Dank Dir, Gott, für alles, was Du mir gegeben hast.
Dank Dir, Gott, für all die Hölle, die Du von mir genommen hast.
Am meisten aber, dank Dir, lieber Gott, für alles, was Du mir gelassen hast.“

Ich bin dankbar, für alles, was ich noch habe. Trocken ist besser.

Gute 24 Stunden

Rosi, Alkoholikerin, Idar-Oberstein

… und wenn Du mehr lesen möchtest, dann abonniere doch einfach diese Zeitschrift: vertrieb@anonyme-alkoholiker.de