In der Monatszeitschrift AA-DACH der deutschsprachigen Anonymen Alkoholiker werden Erfahrungen der jeweiligen Verfasser/Innen mit dem AA-Programm (Schritte, Traditionen, Meetings-Begegnungen, Sponsorschaft etc.) veröffentlicht.
Sie stellen keine Stellungnahme der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker dar und können nicht auf AA als Ganzes bezogen werden.
Oktober 2024
Monatsthema: Leben in den Zwölf Schritten
Leseprobe:
Das Leben in den zwölf Schritten ist ein Dauerauftrag
Als ich durch ein E-Mail-Meeting online zu AA fand, suchte ich mir gleich in der ersten Woche eine Sponsorin. Ich dachte, dass ich mit ihr die Schritte in zwei Wochen gehen würde und dann geheilt wäre und zurück in mein altes Leben könnte – nur eben ohne Alkohol. Genau das war meine irrwitzige Vorstellung. Gehirnakrobatik war mein großer Sport; nur hatte das alles nichts mit der Realität zu tun.
Meine Sponsorin war sehr liebevoll und geduldig mit mir. Sie erklärte, dass ich zunächst genug damit zu tun hätte, mein erstes Glas stehen zu lassen. Am Morgen solle ich um einen trockenen Tag bitten, am Abend für alles Gute danken und wenn möglich täglich mit AA in Verbindung treten durch Meetings, dem Telefon oder der Literatur. War ich wütend! Wofür sollte ich, so am Ende wie ich mich fühlte, jetzt noch dankbar sein? Aber ich machte brav, wie mir empfohlen wurde.
Es gab kein richtig oder falsch
Nach einigen Wochen, in denen wir uns durch E-Mail-Tagesberichte meinerseits und Telefonate besser kennengelernt hatten, starteten wir damit, uns die Schritte anhand des NA-Arbeitsbuches mal genauer anzuschauen, einen nach dem anderen. Dazu gab es zu jedem Schritt (außer dem Vierten) 10 bis 20 Fragen, die ich schriftlich beantwortete und mit meiner Sponsorin teilte. Es gab kein richtig oder falsch, nur einen liebevollen Austausch. Beim Vierten Schritt blieb ich hängen, legte ihn auf mein liebstes Möbelstück, die lange Bank. Schließlich hatte ich doch viel zu tun, erste Dienste und anderes, wie zum Beispiel AA zu verbessern. Meine Anfangseuphorie, nicht mehr zu trinken, war völlig verflogen und meine Unzufriedenheit stieg. Mein Leben war noch genau das gleiche und ich war ohne Alkohol nicht wirklich in der Lage, damit klar zu kommen. Mit Alkohol war ich das natürlich auch nicht, aber da hatte ich es nicht bemerkt, da meine Gedanken vor allem um Beschaffungs- und Entsorgungsthemen kreisten.
Aufräumen im Seelenhaus
Die Angst vorm Fünften Schritt hielt mich auf, denn meine Selbstverurteilung und Scham waren so groß und letztendlich mangelte es auch an Vertrauen in meine Höhere Macht oder Gott wie ich sie/ihn verstehe, wie ich in vielen Gesprächen mit meiner Sponsorin herausfinden durfte.
Irgendwann griff ich mir Stift und Block und fing an die 250 Fragen aus dem Inventurkatalog zu beantworten, ich schrieb über sechs Wochen und fuhr dann zwei Tage zum Fünften Schritt zu meiner Sponsorin. Es war wunderbar und ich war enorm erleichtert. Das erste große Aufräumen im Seelenhaus war geschafft und wir gingen die nächsten Schritte nach bewährtem Muster weiter.
Es ging weiterhin ums TUN, gelebte Wiedergutmachung ist keine Theorie. Wie bereits erwähnt, fand mein Leben zu Saufzeiten eher im Kopf statt. Nun galt es, die Dinge in die Tat umzusetzen, was bis heute keine leichte Übung ist.
Als ich später selbst Sponsorin war, erkannte ich, dass ich keine Ahnung vom Blauen Buch hatte. Also suchte ich mir nach einigen trockenen Jahren nochmals eine Sponsorin, die mit mir die Zwölf Schritte anhand des Blauen Buchs ging – eine großartige Erfahrung! Nun konnte ich endlich die passenden Textstellen im Blauen Buch finden und auch die Inventur anhand der Listen verstehen. Ganz nebenbei bekam mein Seelenhaus noch eine kleine Nachrenovierung.
Beide Wege waren sehr hilfreich und ich bin den beiden so dankbar für ihre Zeit, die sie mir geschenkt haben. Alleine hätte ich es nicht geschafft, meinen Kopf zu sortieren und nicht wieder in falsche Gedanken abzudriften.
Die Zwölf Schritte sind für mich ein Lebensprogramm geworden, mit denen ich mein Seelenhaus kernsanieren und anschließend in Ordnung halten kann. Das ist kein Selbstläufer und oft der unbequemere Weg, aber nach den ersten Nadelöhren, durch die mein Ego hindurchmusste, wurde es milder und mit einem durch die Schrittearbeit gesundgeschrumpften Ego bin ich auf einem guten Weg glücklich, froh und frei zu sein.
Danke und g24h
Sandra, Alkoholikerin aus dem Münsterland
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