In der Monatszeitschrift AA-DACH der deutschsprachigen Anonymen Alkoholiker werden Erfahrungen der jeweiligen Verfasser/Innen mit dem AA-Programm (Schritte, Traditionen, Meetings-Begegnungen, Sponsorschaft etc.) veröffentlicht.
Sie stellen keine Stellungnahme der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker dar und können nicht auf AA als Ganzes bezogen werden.

September 2024

Monatsthema: Rückfall

Leseprobe:

Danke, dass ich nie gestolpert bin

Nach meinem ersten Meeting, zu dem ich nicht freiwillig gegangen bin, kam ich voller Hoffnung heim und war überzeugt, dass ich die Trockenheit auch erreichen könnte, wenn die anderen im Meeting es geschafft hatten, waren die doch viel schlimmer dran, als ich es je war! Diese Hoffnung hält bis heute an. Ich tu auch viel dafür, damit es so bleiben kann: Ich gehe gerne zu den Meetings. Ich halte mit Liebe Kontakt zu den Freundinnen und Freunden in AA, ich bin noch immer nicht zu faul, einen Dienst zu übernehmen und auch ohne Maulen und Herumraunzen bis zum Ende durchzuhalten – das sind meine Lebensversicherungspolicen. Nie wieder möchte ich dahin zurück, woher ich gekommen bin! Ich liebe mein jetziges Leben und genieße es.

Ich empfinde auch Dankbarkeit jenen gegenüber, die nach einem Rückfall wieder die Gnade hatten, ins Meeting zu kommen. Ich möchte ja nicht behaupten – wie man es so oft hört – dass sie diesen Rückfall für mich gebaut hätten, aber ich bin jedes Mal heilfroh, dass es mir nicht passiert ist. Ich hoffe, dass ich nicht zu stolz sein werde, falls es mir doch einmal passiert, dass ich wieder um Hilfe ersuchen kann. Es gehört schon jede Menge Mut dazu, wieder in ein Meeting zu kommen und den Rückfall nicht nur zu gestehen, sondern auch die Freundinnen und Freunde wieder um Unterstützung bei der Genesung zu bitten. Da bin ich für meine Person sehr für Prävention. Lieber jetzt im Programm leben und Dienste übernehmen, als den Alkohol nochmals in mein Leben zu lassen. 

Rückschritte in meinem Verhalten gab es genug.

Demütig bat ich wohl immer wieder um Unterstützung, war auch, dachte ich, völlig bereit, alles ändern zu lassen, aber so einfach ist das nicht. Es fiel mir wiederholt schwer, aus den eingefahrenen Spuren herauszufinden. Das passiert nicht nur mir, sondern vielen anderen Freundinnen und Freunden ebenso. Je tiefer die Spuren eingegraben sind, desto schwerer fällt es mir, neue Abdrücke zu hinterlassen. Wenn ich viele Jahre mich neuerlich darüber erregte, was der eine oder andere an den Tag legte, so wird es mir in Zukunft schwerfallen anzunehmen, dass der oder die andere ebenso krank ist wie ich, sei es auch in anderer Weise. Es ist mir auch häufig passiert, dass ich nicht vergeben wollte und/oder konnte. Das hat mir geschadet und nie denen, denen ich noch immer allerhand nachtrug.

Heute ist es noch genauso. In dem Augenblick, wo ich zornig oder wütend werde, koche ich innerlich und nicht irgendein anderer. Das geschieht mir sehr häufig, vielleicht auch deshalb, weil ich ein überempfindliches Gewissen habe. Das gilt schon einzig und allein für mich, ich unterliege aber doch oft dem Eindruck (vielleicht ist das auch eine Erwartung?), dass auch andere in AA ein solches haben. Das ist aber nicht immer der Fall und dann muss ich sehr darauf achten, dass ich meinen eigenen Mist vor der Türe wegkehre und mich nicht über den Mist der anderen aufrege. Kurz gesagt: Meine eigene Inventur ist gefragt und nicht die der anderen! Ich bin wohl auch ein betrauter Diener, fühle mich auch als solche, würde aber auch von anderen erwarten, dass sie ihre Dienste genauso erfüllen, wie ich denke, dass sich das gehört. Nun, da bin ich schon bei meiner eigenen Inventur. Selbstgerechtigkeit tut keinem gut, mir auch nicht!

Oft denke ich, mein Zorn sei heilig – den gibt es aber nicht den „heiligen Zorn“. Der ist in jedem Fall unheilig und eine Todsünde. Da habe ich wirklich keine Ausrede! Mich hat mal ein AA-Freund „magmatisch“ genannt, weil in mir immer Magma kocht, bis der Vulkan ausbricht, dann wird Magma zur Lava, dabei explodiere ich halt. Auch dieser Charakterfehler sollte irgendwann ausgeräumt werden – mal sehen, ob mir und meiner HK (ich sage lieber Höhere Kraft statt Höhere Macht) das gelingt!

Heute habe ich andere Haltungen und Einstellungen.

Dieses Versprechen ist sicherlich bei mir in Erfüllung gegangen. Meine Haltungen sind hoffentlich immer öfter vom Gelassenheitsgebet bestimmt – was ich ändern kann, was nicht, manchmal fehlt mir aufs Neue die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Mit dem Annehmen habe ich noch heute meine Schwierigkeiten. Dabei geht Annehmen immer noch besser als Hinnehmen. Das Zweite kann ich gar nicht. Meine Erwartungen versuche ich ganz auszuradieren. Früher habe ich immer meine Zukunft wie einen Roman im Kopf geschrieben, habe im Wolkenschloss gelebt und war immer verwundert, wieso die Farben, die Gerüche und die Geschmäcker nicht meinen Vorstellungen entsprachen. Na klar, ausgedacht schaut alles ideal aus, die Realität ist aber eine andere.

So wünsche ich euch denn, dass ihr den Rückfall vermeiden könnt, dass ihr wieder ins Meeting findet, falls es euch passiert und dass ihr frei von Erwartungen werdet.

Ingrid, Alkoholikerin

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