In der Monatszeitschrift AA-DACH der deutschsprachigen Anonymen Alkoholiker werden Erfahrungen der jeweiligen Verfasser/Innen mit dem AA-Programm (Schritte, Traditionen, Meetings-Begegnungen, Sponsorschaft etc.) veröffentlicht.
Sie stellen keine Stellungnahme der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker dar und können nicht auf AA als Ganzes bezogen werden.
Januar 2026
Monatsthema: Der Erste Schritt
Leseprobe:
Angekommen
Dass ich dem Alkohol gegenüber machtlos war, musste ich mir nicht extra eingestehen. Die unzähligen erfolglosen Versuche, mein Glück in der Nüchternheit zu finden, hatten mich dies schon Jahre vor meiner Kapitulation spüren lassen.
Jeden Morgen mahnte ich mich, mit dem Trinken aufhören zu müssen und jeden Abend verschob ich es dann wieder auf den nächsten Tag. In diesem wahnsinnigen Zustand verbrachte ich etliche Jahre. Dass mir der Alkohol schadete, war mir bewusst. Aber befriedigte er nicht auch meine Wünsche nach guten Gefühlen und innerer Stille? Mein Mangel an Vertrauen und spiritueller Verbundenheit hielt mich gefangen. Ich hatte mich dem Alkohol ergeben und gestand mir das auch ein.
Den zweiten Teil des Ersten Schrittes, das Leben nicht mehr meistern zu können, wies ich nach meiner Kapitulation hingegen von mir. Hatte ich doch scheinbar noch alles, was zu einem guten Leben gehört: Arbeit, Familie, Führerschein, Wohnung … Wie ein Außenstehender definierte ich mich über diese Statuskriterien. Da mein Konsum aber begonnen hatte, die familiären Beziehungen zu gefährden, musste ich den Ursachen meiner Erkrankung auf den Grund gehen. In allen Ecken fanden sich Schuldgefühle und Reflexe von Minderwertigkeit. Ich erschrak über das Ausmaß meiner inneren Unruhe. Wenn mich nun etwas aufrecht hielt, war es der Stolz auf meine kurze Zeit des nüchternen Lebens, einen Tag nach dem anderen, und ich begann den „Nur-für-Heute-Gedanken“ zu verstehen und wertzuschätzen.
Schrecken der Familienkrankheit
Bereits als Kind hatte ich mir Techniken angewöhnt, den Schrecken abzumildern. Meine Eltern genossen gesellschaftliches Ansehen und dieser Status tröstete mich über die negativen Auswirkungen einer Familienkrankheit, die ich nicht verstand. Wenn ich mich wieder einmal für meinen Vater schämte, weil er sich volllaufen lassen hatte, half mir dieser falsche Stolz, meine Minderwertigkeitsgefühle zu ertragen. Der prüfende Blick in sein Gesicht auf der Suche nach den Anzeichen des Alkoholkonsums war mir als Kind schon zur Gewohnheit geworden. Jahre später erkannte ich ihn in den Gesichtern meiner eigenen Kinder wieder. Ich war auf dem besten Wege gewesen, dasselbe Leid zu verursachen, das mir selbst widerfahren war. Diese Erkenntnis war mein Tiefpunkt.
Die Furcht vor schlechten Gefühlen, vor der Hilflosigkeit und dem Ausgeliefertsein, hatte mich jahrelang meinen Mangel an Liebe und Vertrauen leugnen lassen. Nach dem Eingeständnis meiner Machtlosigkeit dem Alkohol gegenüber, blickte ich in einen zweiten Abgrund, in den ich aber ebenso nicht mehr hinabsteigen musste. Mit einem Mal war es mir möglich, hinzusehen, ohne mich von meinen Ängsten bedroht zu fühlen. Denn ich war nicht mehr allein.
Heute ist mir bewusst geworden, dass ich Sicherheit nicht über Kontrolle erlange, sondern nur, indem ich Verantwortung für meine Entscheidungen übernehme. Wenn es das Wichtigste für mich ist, heute nüchtern zu sein, bin ich auf dem richtigen Weg.
Ich wünsche euch von Herzen gute 24 Stunden!
Till, ein Alkoholiker aus Chemnitz
… und wenn Du mehr lesen möchtest, dann abonniere doch einfach diese Zeitschrift: vertrieb@anonyme-alkoholiker.de
